Ida, wie hängen Recht und Klimagerechtigkeit zusammen?

Studierende in den USA werfen einen Blick auf die Rolle von Rechtsanwält*innen in der Klimakrise 

Das Thema Klimaschutz gewinnt rechtlich rasant an Bedeutung: Mit der stetig zunehmenden Zahl an Klimaklagen weltweit gibt es auch immer mehr gerichtliche Entscheidungen, die Staaten an ihre Verpflichtung zum Klimaschutz erinnern. Die Verantwortung von Unternehmen wie Shell und RWE wird in Gerichtsverfahren zum Thema. Damit geraten auch Jurist*innen in den Fokus: Welche Rolle spielen eigentlich Kanzleien und Rechtsanwält*innen beim Klimaschutz? Darüber schreibt Ida Westphal von Lawyers for Future im achten Teil unserer Artikelreihe „Sommer der Utopien“.

Schluss mit fossilen Mandaten

Studierende aus den USA werfen einen Blick auf die Rolle, die Rechtsanwält*innen und Kanzleien bei der Verursachung der Klimakrise haben. Unter dem Namen „Law Students for Climate Accountability (LS4CA)“ veröffentlichten sie kürzlich zum zweiten Mal ein Ranking, das die Verbindung zwischen Kanzleien und der Klimakrise aufzeigt. Der Blick auf das Ranking zeigt, dass die größten und erfolgreichsten Kanzleien aktiv auf der Seite der Krisenverursacher tätig werden: 88 der 100 untersuchten Kanzleien landeten in den untersten drei Kategorien. Das bedeutet vereinfacht gesagt, dass sie mit ihren Tätigkeiten die Klimakrise befeuern. 

Ausgangspunkt der Untersuchung ist ein Ranking der 100 erfolgreichsten Kanzleien der USA (sog. Vault 100 Ranking).  Einige der Kanzleien, die dort aufgrund ihrer Tätigkeit in den USA aufgeführt sind, sind international tätig und haben auch Standorte in Deutschland. Um diese renommierten Kanzleien auf ihre klimaschädlichen Aktivitäten in den USA abzuklopfen, haben die Studierenden Daten zu Prozessführung, Unternehmenstransaktionen und Lobby-Aktivitäten gesammelt und ausgewertet. In der untersten Kategorie etwa landen Kanzleien, die entweder mehr als acht Gerichtsfälle auf der Seite der fossilen Industrie vertreten, mehr als 20 Milliarden US-Dollar in fossilen Transaktionen betreut oder mehr als 2 Millionen US-Dollar mit Lobby-Aktivitäten für fossile Unternehmen verdient haben. In dieser Kategorie landeten immerhin 36 der 100 Kanzleien. Betrachtet wurden Tätigkeiten der letzten fünf Jahre. Erschreckenderweise zeigt die Untersuchung auch, dass das Geschäft mit der Klimakrise im Vergleich zur letzten Untersuchung von 2020 insgesamt angestiegen ist. Mehr Kanzleien als im Vorjahr landeten in der untersten Kategorie. 

Die Initiative der Studierenden verbindet das Ranking mit einem Aufruf an Kanzleien, sich zu einer klimaverträglichen Mandatsauswahl zu verpflichten. Das bedeutet, keine Mandate im Bereich der fossilen Industrie anzunehmen und stattdessen die rechtliche Arbeit z.B. auf die Verbreitung von Erneuerbaren Energien auszurichten. Kanzleien, die derzeit Mandate mit Bezug zur fossilen Industrie haben, können sich zu einem „Phase-out“ dieser Mandate bis 2025 verpflichten. Die Liste der Kanzleien, die diese Selbstverpflichtung bereits eingegangen sind, ist allerdings bisher kurz.

Die Initiative bietet auch eine Verpflichtungserklärung für Studierende an. Sie können sich verpflichten, ihr Möglichstes zu tun, nicht für klimaschädliche Kanzleien zu arbeiten. Diese Selbstverpflichtung zielt darauf ab, Kanzleien mit fossilen Unternehmen in der Mandantschaft in dem Wettbewerb um die talentiertesten Nachwuchsjurist*innen langfristig ins Hintertreffen geraten. Die Verpflichtungserklärung berücksichtigt, dass gerade in den USA ein Jurastudium an einer renommierten Universität mit immensen Kosten verbunden ist, die die Studierenden oft nur mit Krediten bewältigen können. Manche Studierende sind auf eine Anstellung in großen und zahlungskräftigen Kanzleien gerade zu Beginn ihrer Karriere angewiesen. Daher steht die Selbstverpflichtung einer solche Tätigkeit nicht entgegen, erwartet aber in so einem Fall einen Einsatz für das Aufdecken von entsprechenden Tätigkeiten von Kanzleien.

Rechtsanwält*innen als Teil des Problems?

Als Vertretung einer Person (oder eines Unternehmens) sind Rechtsanwält*innen immer parteiisch – sie versuchen das Beste für ihre Mandant*innen rauszuholen. Die Parteilichkeit ist im Sinne des Berufsbildes und dies auch aus gutem Grund: Wer ein rechtliches Problem hat, soll sich darauf verlassen können, dass seine*ihre rechtlichen Interessen bestmöglich vertreten werden. Um dies sicherzustellen, sind Rechtsanwält*innen an bestimmte Regeln gebunden. Sie dürfen beispielsweise ein Mandat nur annehmen, wenn sie keinen Interessenskonflikt haben und sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. 

Insofern tun auch die von den Studierenden in den Blick genommenen Kanzleien „nur ihren Job“ – und diesen besonders gut, zählen sie doch zu den erfolgreichsten Kanzleien der USA. Dies erkennen auch die Studierenden in ihrem Bericht an. Die Untersuchung der Studierenden zeigt aber auf, dass diese Parteilichkeit bei der Bekämpfung der Klimakrise eben auch zum Problem wird, wenn sie dazu führt, dass Kohlekraftwerke, Pipelines, Straßen, Flughäfen oder andere Projekte weiterbetrieben oder sogar neu gebaut werden. 

Das Problem geht über die Frage hinaus, wer wen vor Gericht vertritt. Es wirkt bis in die Gesetzgebung hinein. Denn wer eine starke Lobby hat, beeinflusst auch die Schaffung von Recht. Recht ist zwar immer abstrakt formuliert, um für eine Vielzahl von unterschiedlichen Fällen eine Lösung bereithalten zu können. Doch dies bedeutet nicht, dass es auch immer objektiv und neutral ist. Auch wenn im Gesetzgebungsprozess die unterschiedlichen Positionen sorgfältig abgewogen und miteinander in Ausgleich zu bringen sind – faktisch macht es einen entscheidenden Unterschied, wer mit welchen Ressourcen eine Position in diesen Prozess einbringt. Somit spiegelt ein Gesetz immer auch die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse wider, in denen es entstanden ist. Wer es sich leisten kann einen Stab an Topjurist*innen in erfolgreichen Kanzleien mit entsprechenden Kontakten für intensive Lobbyarbeit zu bezahlen, ist hier klar im Vorteil. Auch Klagen können ein Mittel sein, um Druck auf den Gesetzgeber auszuüben. Ein eindrückliches Beispiel sind Klagen der Kohleunternehmen Uniper und RWE gegen die Niederlande wegen des dort beschlossenen Kohleausstiegs im Jahr 2030. 

Recht ist also das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses, der von Machtverhältnissen geprägt ist und trägt damit auch dazu bei, diese Verhältnisse zu bewahren. So war es in der Vergangenheit und noch immer die Position für den CO2-Ausstoß, der im Recht begünstigt wurde – auch wenn wir hier gerade einen langsamen Umbruch erleben. Die Untersuchung der Studierenden weist in dieser Hinsicht also auch auf ein strukturelles Problem hin. Für die in den Blick genommenen Kanzleien ist das Geschäft mit der Klimakrise immer noch lohnend, solange fossile Unternehmen zu den größten und einflussreichsten Unternehmen weltweit zählen. Und die Arbeit der Kanzleien trägt wiederum ihren Teil dazu bei, dass dies so bleibt. Diese lukrative Zusammenarbeit beschreiben die Studierenden als komplizenhaftes Zusammenwirken zwischen der fossilen Industrie und Anwaltskanzleien.

Recht und Klimagerechtigkeit

Wenn die in den Blick genommenen Kanzleien also nur das Recht und die Möglichkeiten nutzen, die ihnen das Recht bietet, warum ist die Untersuchung der Studierenden dann so wichtig? 

Zum einen stärkt eine solche Untersuchung das Bewusstsein für ein fossiles Geschäftsmodell, das sich im und mit Hilfe des Rechts fortsetzt. Solange sich mit fossilen Energieträgern Geld machen lässt, werden Kanzleien Mandate annehmen und ihren Teil dazu beitragen, dass sich an diesem Zustand nichts ändert. Einer solchen Kritik kann leicht entgegengehalten werden, dass auch diese Personen und Unternehmen Rechte haben, die es zu wahren gilt, wofür es eben auch eine rechtliche Vertretung braucht. Damit wird aber vergessen, dass eine starke fossile Lobby zu dem rechtlichen Status quo beigetragen hat, auf dem die Klimakrise prächtig gedeihen konnte. Auch bekämpfen fossile Unternehmen mit rechtlichen Mitteln Transformationsprozesse weg von den Fossilen bereits seit Jahrzehnten, und dass, obwohl sie mit die ersten waren, die Kenntnis über die verheerenden Folgen ihrer Tätigkeit für das Weltklima hatten. Zwei Beispiele sind etwa Exxon Mobile in den USA oder RWE hier in Deutschland und ihr Hinwirken auf eine Bestandsgarantie für den Tagebau Garzweiler im Zuge des Kohleausstiegs.

Zum anderen regt die Untersuchung eine Diskussion über die Rolle von Kanzleien an, die einen Rechtsfertigungsdruck für die Vertretung von fossilen Interessengegenüber jungen Jurist*innen und anderen Mandant*innen schaffen kann. Jede Kanzlei ist frei darüber zu entscheiden, wen sie vertritt. Nur mithilfe solcher Untersuchungen wird es für Kanzleien zunehmend zum Reputationsrisiko, klimaschädliche Tätigkeiten rechtlich zu vertreten. Umgekehrt weisen die Studierenden auch darauf hin, dass es für Kanzleien sogar Vorteile bringen kann, sich klar gegen fossile Mandate zu positionieren. Dies kann zum Beispiel zur Folge haben, dass kompetente Nachwuchsjurist*innen es unattraktiv finden, für eine Kanzlei zu arbeiten, die fossile Mandate bearbeitet. Dafür muss die Vertretung der fossilen Industrien keineswegs das einzige oder größte Geschäft der Kanzleien sein. So wird eine der als klimaschädlich gelistete Kanzlei mit der Kritik zitiert, dass die Untersuchung verschleiere, wenn Beratung zu den Erneuerbaren Energien die fossilen Mandate weit übersteige. Doch für die Aussage der Studierenden und den Appell, den sie aussenden, ist das unerheblich. Denn ihnen geht es vor allem darum aufzuzeigen, welchen Beitrag die Tätigkeit der Kanzleien für fossile Unternehmen zur Klimakrise leistet. Und hier scheinen die Studierenden einen sensiblen Punkt der Kanzleien getroffen zu haben, wie das Beispiel des Ethikrates von der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer in Deutschland zeigt.

Wenn mehr Jurist*innen ihre Arbeit in den Dienst des Klimaschutzes stellen, wird dieser auch im Recht einen Aufschwung erfahren. Aber auch die Studierenden zeigen in ihrem Bericht auf, dass dies allein für Klimagerechtigkeit nicht ausreicht. Denn hierfür gilt es, nicht nur die Machtverhältnisse aufzuzeigen, die die Klimakrise verursacht haben, sondern auch solche, die dazu führen, dass Menschen unterschiedlich von ihr betroffen sind. Dies bedeutet mehr als sich – so das Beispiel der Studierenden – für Erneuerbare Energien einzusetzen beziehungsweise im Falle von Kanzleien diese verstärkt zu beraten und auf „grüne“ Mandate zu verweisen. Vielmehr kommt es darauf an, dass neue Projekte nicht nur nicht-fossil sind, sondern auch darüber hinaus bestehende Machtverhältnisse nicht reproduzieren. Mit dem Beispiel der Erneuerbaren verweisen sie auf das Risiko, dass sich Umweltungerechtigkeit fortsetzt, wenn etwa ohnehin benachteiligte Gemeinschaften zusätzlich belastet werden oder Menschenrechte nicht beachtet werden. Nur unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen Kriterien kann am Ende auch ein Wandel in der Frage erreicht werden, wer im Sinne der Klimagerechtigkeit Recht bekommt. 

Über die Autorin: Ida Westphal, ist Vorstandsvorsitzende von Lawyers for Future. Die Lawyers for Future positionieren sich als Jurist*innen für Klimaschutz und stellen sich hinter die Forderungen von Fridays for Future.

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