Auf in die klimagerechte Zukunft!

Von der Bundestagswahl über Brasilien und Australien zu exotischen Früchten. Eine Reise durch die letzten beiden Wochen mit einer Pointe von Dr. Hirschhausen.

Bundetagswahl als Klimagerechtigkeitswahl

Eine Woche ist nun seit der Bundestagswahl vergangen. Deren Ergebnisse zeigen die Aufbruchstimmung zur Klimagerechtigkeit deutlich. Ein Kommentar.

Das Wahlergebnis der Union war das schlechteste seit 1949. Sie erlitt eine historische Niederlage und wurde nach 16 Jahren Regierung abgewählt. Die Grünen erreichten das beste Ergebnis, das sie je bei einer Bundestagswahl hatten. Wertet man die Wählerwanderung (abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/btw21/waehlerwanderung-bundestagswahl-103.html) aus, so kann man einen Linksruck feststellen: 

So entschieden sich, lässt man die unveränderten Wähler*innen, die  sonstigen Parteien, verstorbene Wähler*innen und die Abwanderung zu Nichtwähler*innen außer Betracht, 4.460.000 Wähler*innen für die Parteien Union, FDP und AfD, welche im Jahr 2017die Parteien SPD, Grüne und Linke wählten, Nichtwähler*innen waren oder bei dieserer Bundestagswahl Erstwähler*innen waren. Die Parteien SPD, Grüne und Linke hingegen konnten, legt man denselben Maßstab an, 7.107.000 Wähler*innen, welche im Jahr 2017 noch die Parteien Union, FDP, AfD wählten oder Nichtwähler*innen waren, überzeugen bzw. als Erstwähler*innen für sich gewinnen. Die Differenz zwischen Linksruck und Rechtsruck beträgt damit 2.647.000 Wähler*innenstimmen. 

Fridays for Future hatte dazu aufgerufen, die Bundestagswahlen zu Klimagerechtigkeitswahlen zu machen. Dieses Ziel hat die Bewegung erreicht. Fridays for Future hat an dem Ergebnis der Bundestagswahl maßgeblichen Anteil. Die Bewegung hat es geschafft, das Thema Klimagerechtigkeit in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu tragen und zum Gegenstand der politischen Meinungsbildung der Bevölkerung zu machen. Klimagerechtigkeit wurde so zum zentralen Wahlkampfthema. Zwei Tage vor der Bundestagswahl versammelte Fridays for Future 620.000 Menschen auf der Straße. Die Proteste der Bewegung trugen zu dem Wahlergebnis im positiven Sinn bei.   

Das Wahlverhalten von mehr als 7 Millionen Wähler*innen und der Linksruck zeigen, dass die Bevölkerung zur Klimagerechtigkeitspolitik bereit ist. 

Dass die Grünen ihre guten Umfragewerte nicht halten konnten und die drittsgrößte Fraktion Bundetag sein werden, dass mit fast einem Viertel der Erstwähler die FDP wählten und das Ergebnis einer völkischen Partei in einigen Wahlkreisen, mag zwar verwundern und auch frustrieren, ändert aber nichts daran, dass in dieser Wahl die Klimagerechtigkeit gewählt wurde und die Chancen, dass diese die kommende Legislaturperiode prägen wird, sehr gut stehen.  

Dass die Grünen nicht die stärkste Kraft wurden und es nicht für eine Regierung bestehend aus den Grünen und der SPD reicht, mag im Hinblick auf eine Klimagerechtigspolitik zwar nicht das erwünschte Traumergebnis sein, ist aber angesichts des erreichten Eregbnisses, welches eine Regierung bestehend aus den Parteien SPD, Grünen und FDP ermöglicht, keine Katastrophe. Die Grünen und die SPD erlangten genug Stimmen, um den politischen Wandel zur Klimagerechtigkeit einzuleiten und um ihnen in den Koalitionsverhandlungen die Bedeutung zu verleihen, die erforderliche Klimagerechtigkeitspolitik durchzusetzen. Die Beteiligung der FDP, welche auf wirtschafts- und haushaltspolitische Standpunkte hinweist oder die Digitalisierung fördern möchte, muss keine Katastrophe bedeuten, sondern kann einen Gleichlauf und Bündelung der Interessen ermöglichen oder als Korrektiv dienen. Ein Blick in die Geschichte gibt Hoffnung, dass der Wandel kommen wird. Die sozialliberale Koalition zeigte, dass mit der Beteiligung der FDP durchaus soziale Reformen möglich sind. Für die Blockade von Klimagerechtigkeitspolitik und rücksichtslose Verfolgung von Lobbyinteressen, die teilweise in Skandalen mündete, teilweise oft von den Wähler*innen vergessen oder ohne die Einforderung politischer Konsequenzen geduldet  wurden, war häufig die Union verantwortlich (s. z.B. nur Die Anstalt vom 04.03.2021 und Rezo, Die Zerstörung der CDU, die im Falle des Zustandekommen einer Koalition der Fraktionen SPD, Grüne und FDP nicht mehr an der Regierung beteiligt wäre. Weswegen diese Koalition den klimagerechten Wandel durchaus gestalten kann und eine Chance verdient.

Schließlich muss man anerkennen, dass die Grünen es geschafft haben, das historisch beste Ergebnis zu erzielen und die Grundlage des klimagerechten Wandels einzuleiten, obwohl sich Diktaturen, Interessengruppen und Medien mit den Mitteln der Fake News, des Sexismus und des kulturellen Antisemitismus in den Wahlkampf einmischten und das Bild einer linksgrünen ideoligischen Verbotspartei zu malen versuchten – ein Mittel, zu dem auch Parteien griffen, um im Wahlkampf Stimmen gegen die Grünen zu machen. Dass dies nicht stimmte, geriet zur Nebensache und interessierte diejenigen, bei welchen die Propaganda verfing, nicht mehr. Die Kommunikation von komplexen Themen und intelligenten politischen Vorschlägen gegenüber den Wähler*innen durch eine Partei ist naturgemäß schwieriger und weniger populär als die Verbreitung von Propaganda durch Parolen. Dass die Kommunikation der Grünen gegenüber den Wähler*innen hätte besser verlaufen können, mag zutreffen. Die Bedingungnen waren jedoch schwieriger als die Bedingungen der Stimmungsmache, der Verbreitung von Fake News und der diffamierenden Kampagne.

Inwiefern diese Kampagne bei vielen Erstwähler*innen verfing und bewirkte, die Liberalen anstatt die Grünen zu wählen, werden wir wohl nie erfahren. 

Was wir hingegen wissen, ist, dass fast ein Viertel der Erstwähler*innen der FDP ihre Stimme gab. Dies erregt die Aufmerksamkeit der Medien sei es in Satire oder Kolumnen und wirft die Frage auf,  welche Bedeutung das Thema Klimaschutz für viele jungen Menschen hat und warum diese Menschen bei einer Wahl, zwei Tage nachdem Fridays for Future international für Klimagerechtigkeit demonstrierte und mehr als eine halbe Million Menschen auf der Straße vereinte, eine Partei wählen, welche staatliche Intervention zum Klimaschutz skeptisch gegenüber steht und stattdessen auf die Freiheit des Marktes und die technischen Innovationen, welche dieser hervorbringen soll, setzt – obwohl dieser Ansatz jahrzehntelang in der Praxis verfolgt wurde, jedoch nicht den klimagerechten Wandel bewirken konnte, was die Notwendigkeit staatlicher Internevtionen offensichtlich macht, welche Fridays for Future einfordert. Da der Klimawandel am meisten die jungen  Menschen betrifft, stellen Kolumnist*innen die Frage, was mit diesen Menschen, welche die FDP wählten, los sei. Sind jenen Klimagerechtigkeit und ihre Zukunft völlig egal? Ein Blick in die Presse (https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/warum-so-viele-erstwaehler-die-fdp-gewaehlt-haben-100.html ; https://taz.de/FDP-Erfolg-bei-Erstwaehlerinnen/!5800450/https://www.suedkurier.de/baden-wuerttemberg/warum-waehlen-viele-erstwaehler-fdp-junge-liberale-aus-dem-suedwesten-erklaeren-ihren-erfolg-bei-der-bundestagswahl;art417930,10930119 ; https://netzpolitik.org/2021/bundestagswahl-warum-die-fdp-bei-erstwaehlerinnen-punktete/) zeigt: Nein. Dass viele Erstwähler*innen sich für die Liberalen anstatt für die Grünen entschieden, steht dem Aufbruch zur klimagerechten Wende nicht entgegen. So sind die Parallelen zwischen den Grünen und der FDP größer als es zunächst den Anschein haben mag. Beide bekennen sich zur Europäischen Union, beide stehen staatlicher Überwachung kritisch gegenüber, beide setzen sich für eine liberale Dogenpolitik (z.B. die Legalisierung von Cannabis) ein. Viele junge Menschen fühlten sich in der Coronapandemie vom Staat vergessen. Die FDP sprach jene, die sie wählten, mit den Themen Digitalisierung, Freiheit und Aufbrauch (Slogan: „Nie gab es mehr zu tun“) an. Die FDP richtete ihren Wahlkampf zudem auf junge Menschen aus. Das Wahlverhalten stellt keinen Gegensatz zum Thema Klimagerechtigkeit dar, da der Klimawandel bei jungen Menschen als das wichtigste Thema angesehen wird. 

Auch dass die AfD einige unbedeutende (!) Direktmandate bekommen konnte, soll nicht verunsichern. Das Wahlergebnis zeigt deutlich: Die  bisherige Behauptungen von Politiker*innen, man könne wegen der Wähler*innen keine Klimagerechtitgskeitspolitik machen, weil diese jene ablehnen und ansonsten rechtsradikale oder rechtspopulistische Parteien wählen würden, verfängt nicht mehr. Die AfD kommt gerade auf 10,3 Prozent der Zweitstimmen. Das heißt: 89,7 Prozent der Bevölkerung lehnen diese völkische und menschenverachtende rechtsextreme Partei ab. Tendenz steigend, denn die AfD verlor gegenüber der letzten Bundestagswahl 2,3 Prozentpunkte. Auch die Direktmandate, welche die AfD erhielt, dürfen nicht überbewertet werden. Bundesweit erhielt die AfD von 299 Direktmandaten gerade einmal 16 Direktmandate. Dies sind 5,35 Prozent. Das heißt, in knapp 95% Wahlkreisen lehnten es die Wahlberechtigten ab, diese rechtsradikale Partei, die sich eine bürgerliche Gestalt zu geben versucht, zu wählen. Zudem sind die Direkmandate der AfD auf regionale Besonderheiten zurückzuführen. Es  gibt Gebiete in Sachsen, darunter im sächsischen Erzgebirge in denen es eine Blasenbildung gibt, in denen Menschen eine starke Führung begehren und in denen rechter Populismus bei der Mehrheit verfängt. Diese Probleme können und müssen lokal gelöst werden – wenn sie denn in diesen Teilen der Bevökerung überhaupt lösbar sind. Dieses Wahlverhalten einer extremen lokalen Minderheit bundesweit zum Vorwand für eine Politik, welche Klimagerechtigkeit verhindert, machen zu wollen, wäre entschieden der falsche Weg. Dies würde der AfD bedeutsamer machen als diese Partei ist und ihr eine größere Aufmerksamkeit geben, als sie es verdienen würde.

Das Ergebnis der Bundestagswahl ist eindeutig als Sieg der demokratischen Gesellschaft zu bewerten. Als ein Zeichen des Aufbruch in das Zeitalter der Klimagerechtigkeit. 

Bemerkenswert positiv ist der Wiedereinzug des Südschlesischen Wählerverbands (SSW). Dieser errang nach 68 Jahren wieder ein Bundestagsmandat. Jene Partei sieht sich politisch in der Mitte, zwischen Union und SPD. Für die Klimagerechtigkeitspolitik wird sie ein Gewinn sein. Sie setzt sich für die Rechte von FINTA*-Personen, kulturelle Vielfalt und ein humanes Aufenthaltsrecht ein. Sie spricht sich für die schnellere Umsetzung des Pariser Abkommens, den Kohleausstieg vor 2038 und den Ausbau des ÖPNV und Schienverkehrs aus. Sie fordert einen Mindestlohn von mindestens 13,00 €. (Zu den Positionen und Forderungen des SSW siehe die Rede von Flemminmg Meyer im Bundesrat vom 14.06.2018 „Die Welt ist divers und die Menschen sind es eben auch„, das Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021, und den Beitrag im Stern vom 27.09.2021: hier. In Schleswig-Holstein regierte sie mit den Grünen und der SPD von 2012-2017. Gegen den Widerstand von Mitgliedern der Union, welche vergeblich versuchten, diese Koalition durch das Landesverfassunsgericht verbieten zu lassen. Die SPD stellte dem SSW eine Kooperation im Bundestag in Aussicht. Der Abgeordnete des SSW soll hiernach an Sitzungen der SPD-Fraktion teilnehmen und über die SPD-Fraktion Rederechte im Bundestag erhalten können. Dafür bittet die SPD um die Unterstützungdes SSW bei Abstimmungen. Hintergrund dürfte sein, dass die Geschäftsordnung des Bundestages (abrufbar hier.) den Umfang des Rederechts teilweise an Fraktionsstärke knüpft. 

Das Wahlergebnis und der Einzug des SSW in den Bundestag zeigen: Das demokratische Fundament für die Klimagerechtigkeitspolitik der nächsten Legislaturperiode wurde gelegt. Die Klimagerechtigkeitsbewegung hat ihr Ziel erreicht.

Die Klimagerechtigkeitskoalition

Hierauf ist nun aufzubauen. 

Der Ball liegt nun bei den Parteien SPD, Grünen und FDP. Eine Koalition dieser ist derzeit am wahrscheinlichsten und wird vorbereitet. 

Entscheidend ist nun, was die künftigen Koalitionsparteien konkret beschließen und umsetzen werden. Wahrscheinlich dürfte die Koalition von SPD, Grünen und FDP sein, wobei die Einigung zwischen den Grünen und der FDP als Kanzlermacher gelten. Die Regierungsbeteiligung der Grünen bietet hierfür die besten Voraussetzungen. In Sachen Klimaschutz haben sie das ambitionierteste und konkreteste Wahlprogramm aller Parteien: Sie möchten, um nur einige Beispiele aufzuzählen, den Kohleausstieg  bis 2030 vollziehen, ein Bundesmobilitätsgesetz schaffen, bis 2030 die Fahrgastzahlen im Bus- und Bahnverkehr u.a. durch den Ausbau der Schienennnetzes und die Schaffung eines Schnell- und Nachtzugnetzes verdoppeln, die Fußgänger- und Fahrradwege bis 2030 verdoppeln, das Artensterben stoppen, den Einsatz von Pestiziden reduzieren, bis 2030 die Quote von 30% des Ökolandbau erreichen, 5% der Wälder an die Natur zurückgeben und 50 Millionen Euro, in klimaneutrale Infrastruktur, Stadtentwicklung und Technologien wie z.B. in Form emissionsfreier Busse, erneuerbare Energien, nachhaltige Batteriezellenproduktion und Transformationsdialoge und -fonds in Autoregionen oder Maßnahmen zur Klimawandelfolgenapassung von Städten investieren und setzen sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten u.a. in den Sektoren Verkehr und Landwirtschaft ein. 

Die Ernsthaftigkeit der Parteien SPD, Grüne und FDP zu einer gemeinsamen Regierung zeigte sich bereits am Wahlabend. 

Genügend Gemeinsamkeiten zwischen den Grünen und der FDP ließen sich finden. Schnittmengen gibt es in der Außenpolitik (Stärkung der Menschenrechte, durch kritisches Auftreten ggü. Russland und China), bei der Stärkung der Rechte von FINTA*-Personen (Abschaffung des § 219 StGB, Stärkung der Rechte transexueller Menschen), in der Frage der zukünftigen Gestaltung der EEG-Umlage (die Grünen möchte diese senken, die FDP diese abschaffen), dem Emissionshandel (die Grünen möchten dieses System reformieren und einen CO2-Preis von 60,00 € pro Tonne einführen, die FDP möchte diesen auf alle Sektoren ausweiten und einen Preis, der sich am Markt bildet, dem Anliegen der sozialgerechten Gestaltung der Energiewende (die Grünben möchten ein  Energiegeld, die FDP eine Klimadividende), in der Gestaltung der BAföG Leistungen, in der Frage der Cannabislegalisierung und in der Frage der Absenkung des Wahlalters auf 16.

Die Unterschiede liegen bei der Frage der Einführung des Tempolimits, des Festhaltens an der Schuldenbremse, der Frage staatlicher Investitionspolitik und unterschiedlichen Ansätzen in der Sozialpolitik. In diesem Punkt sieht zwar der Vorsitzende der Gewerkschaft Ver.di Werneke eine mögliche Regierungsbeteiligung der FDP kritisch, welcher gegenüber dem Deutschlandfunk bemerkte, die Regierungsbeteiligung der FDP sei nach der bisherigen Erfahrung „ein Sicherheits für Arbeitnehmer*innen- und Arbeitnehmerrechte“ und die  Steuerpläne der FDP („Abschaffung des Soli für Reiche“) als „Umverteilung zugunsten von Wohlhabenden“ bezeichnete, was eine „schwierige Ausgangslage“ für Gespräche begründen würde, zugleich jedoch Gemeinsamkeiten wie den sozialen Ausgleich der Energiewende zwischen der FDP und den Grünen betonte, die er ausdrücklich begrüßte.   

Unüberwindbar sind die inhaltlichen Unterschiede also nicht. Die Grünen setzen auf Kompromissbereitschaft. So signalisierten sie bereits, beim Tempolimit auf die roten Linien der FDP eingehen zu wollen. Dies ist im Hinblick auf das gemeinsame Ziel, die Klimagerechtigkeitspolitik,  welche nur gemeinsam gestaltet werden kann, pragmatisch und sinnvoll . Eine Parteiendemokratie bedarf der Kompromisse. Das Tempolimit mag zwar eine Möglichkeit sein, sehr schnell und ohne großen Aufwand und Eingrffe in die Freiheit 1,9 bis 2,6 Millionen CO2 pro Jahr einzusparen (bei einem Tempolimit von 130 km/h – 120 km/h) und nebenbei den Straßenverkehr sicherer zu machen. Da jedoch anerkennt werden muss, dass dies ein Thema ist, welches vergleichbar dem Streit um die Verschärfung des Waffenrechts in den USA von vielen Menschen emotional statt rational geführt wird und die FDP rote Linien bereits gezogen hat, ist es sinnvoll, hier einen Kompromiss einzugehen, wenn dieser eine Klimagerechtigkeitspolitik ermöglicht, die zur Reduktion eines Großteil der Emissionen von 700 Millionen Tonnen führen könnte. Auch im Hinblick auf die weiteren Unterschiede ist eine Einigung möglich. So schlug Lindner vor, die Ausgaben zu überprüfen, um Geld für Investitionen zu gewinnen

Und in Bereichen, in denen die FDP zögern könnte, könnten wirtschaftspolitische Interessen diese überzeugen, eine Klimagerechtigkeitspolitik zu unterstützen. Der Wandel käme dann nicht sofort mit einem Koalitionsvertrag, aber dennoch rechtzeitig und zeitnah. So ist z.B, der Verbrenner in vielen europäischen Staaten ein Auslaufmodell. Ein Festhalten an diesem könnte daher über kurz oder lang nicht mehr wirtschaftlich sein. Ausgerechnet die Wirtschaft, deren Interessen die FDP nach ihrem Selbstverständnis vertritt, könnte die FDP überzeugen,  dem Wandel zuzustimmen. Ihre Stimmen können wir bereits vernehmen. 

So lehnten viele Unternehmer*innen beim Klimaschutz eine Blockadepolitik ab und gingen vor der Bundestagswahl auf Distanz zur FDP.

Andere Unternehmer unterstützten die Grünen im Wahlkampf. Der niederländische Unternehmer Steven Schuurman spendete während des Wahlkampfes 1,25 Millionen Euro an die Grünen – die größte Spende in ihrer Parteigeschichte ( https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/bundestagswahl-wenn-die-wirtschaft-links-waehlt-kolumne-a-3cf05e43-e38f-4252-bb02-7d43969c918f ; https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bundestagswahl-2021/bundestagswahlkampf-gruene-erhalten-rekordspende-ueber-1-25-millionen-euro-aus-den-niederlanden/27589098.html?ticket=ST-6444845-6uvROJOJzL7BnUWEYkQU-ap1 ). Der Sohn des Nettogründers spendete 250.000 Euro.  

Der Vorstandsvorsitzende der VW-AG Herbert Diess sprach sich gerade öffentlich für einen CO2-Preis von 65,00 Euro pro Tonne ab 2024 aus  und veröffentlichte auf Twitter eine Liste mit zehn Punkten, deren Eingang er in die Koalitionsverhandlungen wünscht. Diese beeinhaltet den Ausbau der erneuerbaren Energien auf 255 GW bis 2030, 24/7 Grünstrom durch schnelleren Netzausbau, die Beendigung der Subventionen für fossile Kraftstoffe,  den deutlich vorgezogenen Ausstieg aus der Kohle,  die Beibehaltung der Kaufprämie für Elektrofahrzeuge bis 2025 mit schrittweisem Abbau hiernach, den Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge, Städte lebensfähiger zu machen, die Förderung von Fahrrädern, E-Bikes und Carsharing (mit Gleichstellung von Ridepooling dem ÖPNV), die Regelung des faireren und sicheren Zugangs zu Fahrzeugdaten und den flächendeckenden 5G-Ausbau um autonomes Fahren ermöglichen zu können.

Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Siemens AG und Vorsitzende des Aufsichtsrats der Siemens Energy AG Joe Kaeser fordert ebenfalls Investitionen in den Klimaschutz und warnt vor sozialer Spaltung in Deutschland. Man müsse gegen Rassismus, Sexismus und Ungleichheit eintreten. 

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey, welche im Auftrag der Wirtschaftswoche durchgeführt wurde, unter 1500 Führungskräften ergab, dass 45 Prozent der deutschen Führungskräfte eine Ampelkoalition wünscht. Für die Jamaika-Koalition sprechen sich nur 30 Prozent aus. 

Dies zeigt, dass die Wirtschaft zu einem klimagerechten Wandel bereit ist und von der Politik klare Zielvorgaben wünscht, welche Investitionssicherheit in diesen ermöglichen. Zu dem klimagerechten Wandel drängen auch weltweite Entwicklungen. So gab China wenige Tage vor der Bundestagswahl in der UN-Generaldebatte bekannt, keine Kohlekraftwerke im Ausland mehr finanzieren zu wollen. Umweltschützer sehen dies als wichtiges Signal. Seine wirtschaftspolitische Bedeutung ist nicht zu unterschätzen. Spätestens jetzt ist offensichtlich, dass die chinesische Regierung die Bedeutung des Zukunftsmarkts der erneuerbaren Energien längst entdeckt hat. 

Welche existezielle Bedeutung die weltweite Entwicklung der Marktwirtschaft für die Wirtschaft hierzulande haben kann, zeigte das Schicksal der Solarindustrie in Deutschland. Noch im Jahr 2010 zählten acht Unternehmen aus Deutschland zu den zehn weltgrößten Solarunternehmen. Die Novelle des EEG führte zum Einbruch des Solarmarkts in Deutschland. Mindestens fünf Unternehmen aus Deutschland konnten sich nicht mehr unter den zehn weltgrößten Unternehmen behaupten. Die fatale Energiepolitik des Bundes führte zum Verlust mehr als 113.000 Arbeitsplätzen. Es ist naheliegend, mit demselben Schicksal in anderen Sektoren zu rechnen und dieses rechtzeitig abwenden zu wollen um Schäden in Millonenhöhe zu verhindern. Die Auswirkungen wären erheblich So waren in der Automobilbranche im Jahr 2020 808.000 Menschen beschäftigt. Das Aus des Verbrenners, welches absehbar ist,  betrifft diese Arbeitsplätze. So haben weltweit 17 Regierungen das Aus für den Verbrennungsmotor bereits beschlossen. In der chinesischen Provinz Hainan läuft ein Pilotprojekt der Zentralregierung, den Verkauf von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor bis 2035 zu beenden. Kalifornien möchte das Aus für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor bis 2035 erreichen. Die geplante CO2-Regulierung der EU würde das Ende des Verbrennungsmotors spätestens 2035 bedeuten. Die richtige Antwort auf diese Entwicklung besteht in der Transformation der Automobilbranche zur klimagerechten Verkehrswende.

Mut zur Veränderung, Mut zum Miteinander

Der klimagerechte Wandel muss das gemeinsame Ziel von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft sein. Insofern müssen wir als Gesellschaft bereit sein, den Wandel gemeinsam zu gestalten und Mut zur Veränderung zu haben. Der konservativ-liberale Teil der Gesellschaft muss erkennen, dass Klimagerechtigkeit, nicht eine Verbots- und Verzichtskultur ist, sondern die einzige Möglichkeit, unsere Freiheit zu erhalten, unsere Arbeitsplätze zu schützen und unseren Wohlstand zu bewahren. Verweigern wir uns dieser Erkennntnis, so wird nicht nur ein radikaler Wandel innerhalb kürzester Zeit erforderlich, welcher jegliche Freiheit zerstören wird, weil die Alternative die weltweite Zerstörung unserer Lebensgrundlagen wäre, sondern es würden auch unsere Wirtschaft und Sicherheit bedroht. Die Wirtschaft passte sich nicht einem weltweit sattfindenen Wandel an und verlöre ihre Wettbewerbsfähigkeit. Die Konflikte um Land, Trinkwasser und Nahrungsmittel holten uns ebenfalls ein – das Ignorieren, Leugnen und Abschotten würde nicht funktionieren. Der sozialliberale und soziale Teil der Gesellschaft müssen erkennen, dass bedeutende Teile der Wirtschaft nicht länger Gegner der kimagerechten Wende sind. Einen künstlichen Klassenkampf führen zu wollen, wäre der falsche Weg. Erforderlich, ist das gemeinsame Interesse an dem Wandel zu erkennen, zu betonen und diesen gemeinsam zu gestalten. Wir können und wir müssen die klimagerechte Wende gemeinsam gestalten. Die Koalitionsverhandlungen der Parteien SPD, Grüne und FDP bereiten diese politisch vor. Als Gesellschaft sollten wir diesen Weg ebenfalls gehen. 

Kosten als Investitionen in die Zukunft begreifen, Herausforderungen als Chancen

Hierbei sollten wir uns von Herausforderungen und Kosten nicht abschrecken lassen. Die Kosten des Klimawandels und der Klimagerechtigkeit spielen die europäischen Notenbanken durch. Henrik Müller wirft anhand deren Publikationen im September die Frage auf, ob und in welchem Ausmaß mit der Energiewende eine Inflation einhergehen könnte. Die Antwort, welche sich diesem Artikel entnehmen lässt, ist, dass die Verzögerung der klimagerechten Wende diese Inflationsgefahr vorantreiben. Geht man davon aus, dass eine Abgabe auf Emissionen von Treibhausgasen, Produktionsprozesse oder deren Verbrauch verteuert, sich in steigenden Preisen gegenüber dem Verbraucher niederschlagen könnte, so ist dieser Effekt umso größer, je länger die klimagerechte Wende dauert. Das von Müller aufgezeigte Beispiel der Verzögerung der Energiewende zeigt dies: Im Frühjahr 2020 ging die Produktion erneuerbaren Energien zurück, weil die Stürme im Frühjahr ausblieben. Dies führte dazu, dass zur Energiegewinnung auf Kohle- und Gaskraftwerke zurückgegriffen werden musste. Diese bewirkten eine Nachfrage fossiller Brennstoffe, welche zu einem Preisanstieg beitrug. An dieser Stelle nun stehenbleiben zu wollen und die erneuerbaren Energien in Frage zu stellen, wäre jedoch zu kurz gedacht. Wäre die Energiewende konsequent vorangetrieben worden, hätte es genügend Kapazitäten zur Erzeugung und Speicherung von Energie aus erneuerbarer Energiequellen gegeben, so wären die Engpässe gar nicht oder in einem geringeren Ausmaß entstanden. 

Im Vergleich zu den Kosten des Klimawandels sind die Kosten der Energiewende zudem verhältnismäßig gering. Die Kosten des Klimawandels könnten in Deutschland bis 2050 800 Milliarden Euro betragen. Weltweit sollen diese 15 bis 37 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts ausmachen. Jede Verzögerung des Klimaschutzes soll jährlich zu einer halben Billion Dollar Mehrkosten führen. Die  Kosten könnten sechsmal höher liegen als bisher angenommen. Am Tag vor der Bundestagswahl warnten Expert*innen am Ende des Extrenwetterskongresses vor den Kosten des Klimawandels und wiesen darauf hin, dass jeder in den Klimaschutz investierte Euro 15 Euro Schaden abwenden würde. Die Kosten der Flutkatastrophe im Ahrtal könnten 30 Millarden Euro betragen. Die Versicherungswirtschaft hat in diesem Jahr bereits Kosten in Höhe von 11,5 Milliarden Euro verbucht

Ein beeindruckendes und trauriges Beispiel für die Gefahren und Schäden, die der Klimawandel mit sich bringen kann, war am Mittwochabend in Kiel zu beobachten. Dort verletzte ein Tornado vier Menschen schwer und mindestens drei Menschen mittelleicht. Der Tornado beschädigte Boote, deckte Hausdächer ab und entwurzelte Bäume. ( https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Windhose-in-Kiel-schleudert-Menschen-ins-Wasser-und-zerstoert-Daecher,windhose296.html ; https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/tornado-in-kiel-fegt-menschen-ins-wasser-sieben-verletzte,SkTKy8g ). Vorhersehbar war der Tornado nicht.

Es ist daher wichtig, sich von den Herausforderungen und Kosten der klimagerechten Wende nicht abschrecken zu lassen. Diese Kosten und Herausforderungen müssen zwar angesprochen und analysiert werden, um ihr Zustandekommen und ihre Auswirkungen begreifen zu können, damit sie kakuliert und gelöst werden können und ihnen begegnet werden kann. Sich von diesen abschrecken zu lassen, wäre der falsche Weg. Je schneller wir die klimagerechte Wende angehen, desto weniger dürfte sie uns kosten. Ihre Herausforderungen müssen als Chancen begriffen werden, gemeinsam Lösungen zu finden und zu entwickeln, was zu Innovationen und Fortschritt, die uns allen nützen können, führt.

Wir können optimistisch sein, dass die politischen Weichen gestellt werden. Und sollten den Mut haben, den Weg der klimagerechten Wende als Gesellschaft gemeinsam zu gehen.

Proteste gegen Bolsonaro in Brasilien 

Für Klimagerechtigkeit setzen sich die Menschen weltweit ein. 

Der indigene Missionsrat – Cimi verurteilte Bolsornaros Unwahrheiten und Heuchelei in der 76. UN-Generalversammlung. Entgegen dessen falschen Behauptungen werden indigene Vöker in Brasilien entrechtet und erleben Gewalt und Unterdrückung. In Brasilien protestierten zehntausende Menschen gegen Bolsonaros Politik

Gegen die Beteiligung europäischer Banken an der Zerstörung der Regenwälder richtet sich diese Petition der NGO SumOfUs.

Hoffnung am Great Barrier Reef

Am Great Barrier Reef versuchen Forscher*innen, dieses mit künstlichen Wolken vor weiterer Erwärmung zu schützen.

Früchte des Klimawandels

Die Auswirkungen des Klimawandel können auch exotische Früchte tragen. Die ersten Bauern machen sich dies zunutze und bauen diese an

Klimawandel  verständlich erklärt

Der Medizinier und Scientist Dr. Hirschhausen findet zum Thema Klimawandel die richtigen Worte, welche Humor und Ernsthaftigkeit dieses Themas vereinen. Der Beitrag ist empfehlenswert, weswegen ihm das Schlusswort gebührt: Hier kannst du ihn nachlesen. Damit endet unser Wochenrückblick und wir wünschen Dir eine schöne Woche.

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